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«Anfechtungshürden sind sehr hoch»

Marschhalt, erneute Abstimmung über eine Tunnelvariante oder alles beim Status Quo belassen: Das sind nur drei Theorien, die aktuell in Teilen der Teufner Bevölkerung diskutiert werden. Doch über was kann und darf überhaupt noch abgestimmt werden?

Thomas Wüst, stv. Departementssekretär Inneres und Sicherheit des Kantons AR, geht im Interview auf rechtliche Fragen rund um die Ortsdurchfahrt Teufen ein.

Herr Wüst, in Leserbriefen taucht da und dort die Forderung nach einer erneuten Abstimmung über eine Kurz- oder Langtunnelvariante auf. Ist eine entsprechende Volksinitiative überhaupt zulässig, nachdem 2015 die Langtunnelvariante ebenso vom Stimmvolk abgelehnt wurde, wie 2017 die Kurztunnelinitiative?
Thomas Wüst: Theoretisch wäre eine Volksinitiative zu einer Alternative zur Doppelspur denkbar. Eine erneute Volksinitiative darf nicht rechtsmissbräuchlich sein. Dies ist im Einzelfall zu beurteilen. Zudem muss eine Volksinitiative zwingend einen Beschluss zur Folge haben, der dem obligatorischen oder fakultativen Referendum untersteht. Dies wäre im konkreten Fall beispielsweise gegeben, wenn die Volksinitiative einen Kreditbeschluss zum Ziel hat, der die Finanzkompetenz des Gemeinderates überschreitet (bei einmaligen Ausgaben liegt diese Obergrenze bei CHF 300‘000). Dies war ja auch bei der Volksinitiative zum Kurztunnel so gegeben.

Die Teufnerinnen und Teufner hätten nach den Tunnelabstimmungen innerhalb von drei Tagen Stimmrechtsbeschwerde einreichen können. Von diesem Recht wurde kein Gebrauch gemacht. Gab es in Ausserrhoden schon Fälle, bei denen ein Abstimmungsresultat nach Ablauf der Beschwerdefrist angefochten wurde?
Es ist denkbar, dass im Zeitraum der Abstimmung keine Abstimmungsbeschwerde erhoben wird, später aber erhebliche Tatsachen und Beweise an den Tag kommen, die das Abstimmungsverfahren wegen gravierender Mängel als fragwürdig erscheinen lassen könnten. Tatsachen, die sich erst im Laufe der Zeit herauskristallisiert haben, sind indessen ohne Bedeutung. Das Bundesgericht hatte schon solche Fälle zu beurteilen. Der eine mir bekannte neuere Fall betraf die eidgenössische Volksabstimmung über die Unternehmenssteuerreform vom Februar 2008. Ein weiterer Fall betraf die Abstimmung über die eidgenössische Volksinitiative «Gegen Masseneinwanderung» vom Februar 2014. Selbst bei der Feststellung von Mängeln ist das Bundesgericht sehr zurückhaltend mit der Aufhebung einer Abstimmung. In Appenzell Ausserrhoden gab es meines Wissens noch nie einen entsprechenden Fall, in dem Unregelmässigkeiten eines Abstimmungsverfahrens erst zu einem späteren Zeitpunkt geltend gemacht wurden.

Wie fielen die Entscheide des Bundesgerichts bei den beiden genannten Beispielen aus?
In einem Fall stellte das Bundesgericht Mängel fest, verzichtet indessen darauf, eine Wiederholung der Abstimmung zu verlangen und wies die Beschwerden aus Gründen der Rechtssicherheit ab. Es lässt sich festhalten, dass auch nach Ablauf der ordentlichen Frist für eine Stimmrechtsbeschwerde grundsätzlich die rechtliche Möglichkeit besteht, ein Abstimmungsresultat anzufechten, die materiellen Hürden für die Aufhebung einer Abstimmung letztlich aber enorm hoch sind. Auch bei nachträglich bekannt gewordenen, schwerwiegenden Mängeln ist das Bundesgericht sehr zurückhaltend. Mit Blick auf die beiden Tunnelabstimmungen müssten Unregelmässigkeiten geltend gemacht werden, welche damals die Abstimmung massiv und entscheidend beeinflusst haben.

In einem Leserbrief wurde die Annullierung der eidgenössischen Abstimmung über die Heiratsstrafe als Beispiel herbeigezogen, um erneut an der Urne über die Ortsdurchfahrt Teufen befinden zu können. Hinkt der Vergleich?
Das Abstimmungsresultat über die Heiratsstrafe wurde innerhalb der Beschwerdefrist angefochten. Die Frist für eine Stimmrechtsbeschwerde nach der Abstimmung über die Kurztunnelinitiative im Jahr 2017 ist hingegen längst abgelaufen. Inhaltlich sollten sich die Fragen nach der Verletzung der Abstimmungsfreiheit indessen nach ähnlichen Kriterien beurteilen. Die Schranken, dass letztlich die Aufhebung einer Abstimmung in Frage kommt, sind sehr hoch. Dies ist auch richtig so: Wegen der Bedeutung der Beständigkeit direktdemokratisch getroffener Entscheidungen und aus Gründen der Rechtssicherheit soll nicht leichthin auf ein abgeschlossenes Abstimmungsverfahren zurückgekommen werden. Diese Haltung des Bundesgerichts wird durch dessen Urteile untermauert.

Bis Ende Mai 2019 werden in Teufen Unterschriften für eine Petition «Marschhalt ODT» gesammelt. Muss der Gemeinderat zwingend auf die Anliegen der Petitionäre eingehen?
Laut Teufner Gemeindeordnung hat der Gemeinderat die Pflicht, «Petitionen inhaltlich zu prüfen und möglichst rasch zu beantworten». Nicht mehr und nicht weniger. Grundsätzlich ist eine Petition ein formloses Instrument neben den festen Formen der politischen Rechte, um den Behörden konkrete Anliegen zu unterbreiten – allerdings ohne rechtliche Wirkungen. Es besteht lediglich eine Pflicht der Behörden zu einer Antwort. Im Gegensatz zu einer Volksinitiative kann sie auch von nicht stimmberechtigten Personen, beispielsweise von Minderjährigen oder Nicht-Ortsansässigen, unterzeichnet werden.

Mal angenommen aus der Petition wird eine Volksinitiative «Marschhalt ODT». Kann überhaupt an der Urne darüber befunden werden, ob man den Status Quo belassen will?
Wie bereits erwähnt, kann mit einer Initiative ein Beschluss verlangt werden, welcher dem Referendum unterliegt. Die Ist-Situation in Teufen zu belassen bildet für sich alleine jedoch keinen referendumspflichtigen Beschluss.

Interview: Rosalie Manser